Was ist mir mein Glaube wert?

16. August 2022

Wir waren zur alljährlichen Wanderwoche heuer in St. Nikolai im Sölktal. Ich wusste von meiner Kollegin Waltraud Mitteregger, dass es hier irgendwo oben einen geheimen Versammlungsplatz der Evangelischen aus der Zeit der Gegenreformation gibt. Da musste ich hin!

Nachdem wir die angesagten Gipfel der Gegend, Großer Knallstein und Deneck abgearbeitet hatten, wollte ich diesen Gottesdienstplatz besuchen. Waltraud Mitteregger hat ihn in ihrem Buch: „Verfolgt und anerkannt, Die Geschichte der Evangelischen im Raum Gröbming von der Reformation bis zur Gemeindegründung“, Evangelischer Presseverband, Wien 2010, auf den Seiten 120-123 wunderbar beschrieben.

Wir starten bei der Kirche in St. Nikolai mit ihren seltsamen 12 Aposteln (Das ist ein Rätsel: Es sind 12, aber Paulus ist dabei, und Matthias. Also: Wer fehlt?).

Es geht Richtung Südwesten, den Bräualmbach entlang, an der gleichnamigen Alm vorbei bis zum Talschluss. Beim Kreuzsteg wechseln wir auf die andere Bachseite, und endlich geht’s auch aufwärts: Die Kehren der Forststraße abkürzend kommen wir schnell höher.

Die Abkürzung bei der Rechtskurve auf 1360m würde ich nicht mehr nehmen, sondern auf der Straße bleiben. Diese endet, und der Saumweg beginnt. Er führt auf die Hohenseealm, 1550m, am -- Hohensee. Ein malerisches Plätzchen! Wir gehen noch um den See herum, und rasten am Südwestende des Gewässers, bevor es den Schimpelrücken hinaufgeht. Die nächsten 250 Hm sind teilweise steil. Einmal helfen 3 kurze Leitern über einen nassen, grasig-felsigen Aufschwung hinauf.

Kurz vorher verlassen mich meine beiden Begleiter, das Ehepaar Rößler. Ich bin allein. Die anderen sechs aus unserer Gruppe sind schon voraus, sie wollen zur Schimpelscharte, Johannes und Gabi sogar zur Schimpelspitze.

Allein ist man nie. Eine junge Kreuzotter verlässt den Wanderweg, als ich mich nähere. „Wo die Jungen sind, ist die Mutter nicht weit“, schießt es mir durch den Kopf. Die nächste halbe Stunde gehe ich laaaangsam, mit bodenscannendem Blicken, erst den Rücken auf der anderen Seite 50 Hm abwärts, und dann dem Schimpelbach entlang aufwärts. So übersehe ich das Gedenkkreuz, das eigentlich unübersehbar am Wegrand steht.

Erst als ich längst den Bach verlassen habe, und der Schimpelsee unter mir liegt, auf ca. 2000 m, halte ich ein. Zwei Jäger kommen vom See herüber. Sie sind wenig auskunftsfreudig. „Da bist d‘ schon viel zu weit!“ kriege ich aus ihnen heraus. Ich gehe zurück, finde auf ca. 1850m das Gedenkkreuz, und beginne oberhalb nach einem Steiglein zu suchen. Tatsächlich! Kaum wahrnehmbar führt es schräg den Hang in nordöstlicher Richtung hinauf zu einer kleinen Jagdhütte.

Dahinter einfach in derselben Richtung weiter erreicht man sie: Die Schimpelkirche, oder „Teufelskirche“, wie sie von den damaligen Katholiken genannt wurde! Übrigens: In der Bergfex-Wanderkarte ist sie eingezeichnet!

„Ich bin am Ziel.“, schreibe ich per WhatsApp an Gabi. Die ist mit all den anderen kurz vor der Schimpelscharte, etwa 400 Hm über mir.

Ich setze mich auf einen Stein, packe meine Jause aus. Die beiden Jäger kommen nachschauen, ohne ein Wort gehen sie an mir vorüber. Vielleicht wollten sie wissen ob ich fündig geworden war…

Ich stelle mir vor, wie die alten Evangelischen hier gefeiert haben: Zuerst mussten sie sich natürlich unten im Tal in der (Früh-)Messe blicken lassen, dann 4 Stunden auf den Berg raufgehen, die Bibeln und Gesangsbücher aus den Felsnischen rausholen, und dann begann „ihr“ Gottesdienst!

Sie wollten Gott ehren und mit ihren Liedern loben, und: Sie wollten sein Wort in der Gemeinde lesen und hören, und ihr Leben danach gestalten.

Ich schäme mich ein bissl dafür, dass ich es manchmal mühsam empfinde, mit dem Auto ein paar Kilometer in den Gottesdienst zu fahren. Mir fällt ein, dass mein erster Reflex – den ich nicht umgesetzt habe - auf die corona-bedingte Maskenpflicht war: „Dann bleib ich daheim!“ …. Was ist es mir wert, gemeinsam mit den anderen Gott zu loben? Wäre ich einer der Ersten, die beim geringsten (staatlichen) Widerstand klein beigeben würden?

Ich schüttle diese Gedanken ab, verspreche Gott an diesem besonderen Ort, treu zu sein und zu bleiben, auch wenn es was kostet.

Ich mach‘ mich auf den Rückweg. Sehr vorsichtig gehe ich über den Schimpelrücken, besonders dort, wo ich der Schlange begegnet war. Ebenfalls  wandere ich aufmerksam den teils rutschigen, nordseitigen Steig zum See hinunter, und raste wieder, diesmal bei der Alm. In einem Telefonat mit Gabi orientiere ich mich darüber, wo die anderen sind. In der Nähe ist niemand, also mache ich mich allein auf den Weg ins Tal und den elendig langen Hatscher hinaus nach Sankt Nikolai. Da habe ich Zeit, all die Dinge nocheinmal zu bedenken, und meine Beckenboden-Muskulatur zu trainieren.

Werk für Evangelisation und Gemeindeaufbau in der Evang. Kirche A.B. in Österreich
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